Lieblingsbuch Literatur

Ein wenig Leben (Hanya Yanagihara)

Vier Männer lernen sich in jungen Jahren am College kennen. Willem will Schauspieler werden, Malcolm strebt eine Karriere als Architekt an, JB ist Künstler und träumt davon seine Werke in großen Museen ausgestellt zu sehen. Und dann ist da noch Jude St. Francis, der stille, brillante Jude, der nie von seiner Kindheit spricht, nur selten Nähe zulässt und eine Traurigkeit in sich trägt, die ein Außenstehender kaum begreifen kann. Jude, der durch eine Verletzung an seinen Beinen immer wieder Schmerzanfälle erleidet und sich vor seinen Freunden zurückzieht. Die vier Männer werden älter, entwickeln sich in verschiedene Richtungen und bleiben sich doch immer nah. Besonders in Willem findet Jude über die Jahre einen Freund, deren bedingungslose Zuneigung ihn Licht in seinen dunklen Gedanken finden lässt. Doch die Vergangenheit beherrscht die Gegenwart immerzu und droht die Freunde stetig weiter in Judes schmerzhafte Tiefen hinabzuziehen.

Ein wenig Leben hat mich die letzten drei Wochen begleitet, jeden Tag habe ich nur 50 der insgesamt fast 1000 Seiten zu lesen. Und nun sitze ich hier und weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die Figuren dieses Romans sind mir ans Herzen gewachsen, wie es nur selten vorkommt, Judes Geschichte zu lesen war schmerzhaft, erschreckend, brutal und doch soghaft für mich. Schön ist, was dieses Buch von wahrer Freundschaft erzählt, wie die Liebe der Figuren zueinander mit ihrem Strahlen zeitweise durch die Dunkelheit bricht, wie Hoffnung aufblitzt, wie Menschen füreinander da sind, sich vergeben. Die Figuren wurden von Yanagihara mit viel Liebe zum Detail in meinem Kopf zum Leben erweckt. In erster Linie ist Ein wenig Leben für mich aber ein Buch des Leidens gewesen, ein Buch das, wenn man denkt, noch grausamer kann es nicht mehr werden, nochmal und nochmal in den Wunden wühlt. Und da fragte ich mich am Ende doch: Muss das wirklich so sein? Muss die Figur des Jude wirklich so ausgeschlachtet, so ausgeblutet werden? Und was sagt mir dieser Roman? Dass es keine Heilung gibt, keine Hoffnung auf Besserung? Ich finde das ganz schwierig. Ja, ich hab dieses Buch sehr ins Herz geschlossen, es ist wahnsinnig eindringlich geschrieben und berührte ganz viel in mir. Trotzdem bleibt da auch etwas Ratlosigkeit und das starke Vermissen einer Triggerwarnung, die ich hier aufgrund von Schilderungen Missbrauchs aller Art, suizidalem und selbstverletzendem Verhalten dringend aussprechen will. Was sagt ihr denn?